Wer erklärt uns die Globalisierung?

Oder: Steigender Eselpreis in Anatolien als Folge boomender Wirtschaft in China.

Ein fürwahr turbulentes Jahr liegt hinter uns. Und so mag an der Schwelle zum neuen Jahr 2009 bei manchem auch der Eindruck entstanden sein, dass nichts mehr ist, wie es einmal war und die Welt eine andere geworden ist: Erster Afroamerikaner ins höchste US-Amt gewählt. Zwei-Parteien-System in Bayern. Deutsches Pferd beim Doping im olympischen Peking erwischt. Schuhe als antiamerikanisches Wurfgeschoss. Kurz: Wir erleben in der Tat Zeiten, die unsere Welt kräftig durcheinanderwirbeln. Hinzu kommt, dass sich die Welt im Zeitalter der Globalisierung zu einem Dorf entwickelt hat und wir als Folge der offenen Grenzen immer mehr zusammenhängen, weswegen die Pleite der amerikanischen Großbank Lehman Brothers die internationalen Börsen auf Talfahrt und die Weltwirtschaft in die Rezession bringen konnte.

Dazu werden auch unsere gewohnten Denkmuster immer wieder über den Haufen geworfen: Da steigt in Anatolien der Eselpreis, weil sich der anatolische Bauer kein Auto mehr leisten kann und auf Esel umsteigt. Und das alles, weil die boomende Wirtschaft der Chinesen die Energiepreise weltweit in die Höhe treibt. Da jagt ein spekulativer Finanzkapitalismus in schwindelerregendem Tempo um den Globus, um die einen per Mausklick zu Gewinnern und die anderen zu Verlierern zu machen.

Wer will heute noch ernsthaft behaupten, er verstünde die Welt? Insbesondere vor dem Hintergrund wachsender wirtschaftlicher Unsicherheit schafft das Orientierungsprobleme. Und das um so mehr, als viele Menschen nicht wissen, wie sie den Kapriolen der globalisierten Märkte überhaupt trotzen sollen. Kein Wunder, dass sich viele Menschen zusehends überfordert fühlen und auf der Suche nach ein wenig Abwechslung und Entspannung bei der RTL-Erfolgsdoku »Bauer sucht Frau«, einschalten. In einer immer komplizierteren Welt, in der auch der Boom an den Finanzmärkten häufig nicht mehr durch reale Werte gedeckt ist, geht es wenigstens bei »Bauers« halbwegs normal zu. Zumindest der Kuhstall bietet noch einen verlässlichen Orientierungsrahmen, den die Realwelt häufig nicht mehr bieten kann.

Die Rezession, Renditevorgaben von 25 Prozent und nicht zuletzt das unmenschliche Finanzgebaren einiger Banker und Manager und deren Renditemaximierungsprinzip haben viele Menschen in Bedrängnis bringen. Und so war das Jahr 2008 tatsächlich kein Brüller. Vielleicht ist es gerade deshalb umso mehr zum Brüllen, dass vor dem Hintergrund einer erschreckend hohen Kinderarmut im reichen Deutschland das Kindergeld zum 1. Januar 2009 für das erste und zweite um gerade mal 10,00 Euro erhöht wurde, wobei nicht unerwähnt bleiben sollte, das im gleichen Atemzug eine Besteuerung für die Entlohnung von Tagesmüttern erhoben wurde. Es ist zwar richtig, dass die heute Schwächsten der Gesellschaft morgen antreten müssen, um den Generationenvertrag zu erfüllen und in einer alternden Gesellschaft die Renten derer zu erwirtschaften, die ihre heutige Misere mit zu verantworten haben. Weil der staatliche Rettungsschirm aber nun mal nur für die Großen da ist, haben die Kleinen in der Gesellschaft eben Pech gehabt.

Wie auch immer. Trotz einer nie da gewesenen Flut an Negativmeldung, gab es 2008 durchaus auch Bewegendes, mutmachende Momentaufnahme: Allen voran die des stolzen irakischen Fernsehjournalisten Muntaser al-Saidi, der zum Ausdruck seines zornigen Protests gegen die amerikanischen Besatzer den noch amtierenden US-Präsidenten Bush während einer Pressekonferenz in Bagdad mit seinen Schuhen bewarf. In Deutschland dagegen blieb ein Schuhwurf aus. Warum hätten die Deutschen auch Schuhe werfen sollen? Nun ja, vielleicht aus Solidarität mit den 2,5 Millionen Kindern, die in Deutschland in relativer Armut leben. Oder mit den etwa drei Millionen Rentnerinnen und Rentner, die von Armut bedroht sind und nicht zuletzt aus Solidarität mit den 18,8 Prozent der Bundesbürger, die laut einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) als armutsgefährdet gelten und über weniger als 880 Euro Einkommen im Monat verfügen.

Statt Schuhen flogen in Deutschland eben Böller. Um das Jahr 2008 zu begrüßen, haben die böllerfreudigen Deutschen an die 100 Millionen Euro verböllert. Für 2009 erwartete der Verband der Feuerwerkshersteller vergleichbare Zahlen. Angesichts der Tatsache, dass die Rezession wie ein Gespenst über der Welt hängt, sind solche Fakten nur schwer nachzuvollziehen. Vielleicht hängen sie damit zusammen, dass die Krise in vielen Köpfen noch nicht angekommen ist. Manch einer mag den deutschen Böllerspaß auch als letztes Aufbäumen vor dem Sturz in die finsteren Tiefen einer weltweiten Rezession gewertet haben.

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© Ute Bienkowski. Alle Rechte vorbehalten.

Zenit – Institut für Kreativität und Erfolgsmethodik

Weitere Beiträge zum Thema: Sorbas – eJournal für den Neubeginn.

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