Ein Votum für Deutschland und die Kunst des Scheiterns

Während sich die Wahlkampfplatitüden in kernigen bis nichtssagenden Sentenzen darum bemühen, dem Bürger mit möglichst verlockend klingenden Versprechungen die eigene politische Coleur schmackhaft zu machen, gehen die bedeutenden Probleme, denen sich dieses Land gegenübersieht, geflissentlich im Sommerloch unter. Dabei gehört es zum guten (also schlechten) Ton der Maschinerie, den Gegner so gut es geht als Versager darzustellen, und sich selber schon einmal vorab den Lorbeerkranz für zukünftige Heldentaten zuzusprechen. Will man diesem strategischen Gerede Glauben schenken, so muss man davon ausgehen, dass das Scheitern immer ein Privileg der anderen ist. Wer Fehler gemacht hat, ist nicht würdig, dieses Land zu regieren und hat keine zweite Chance verdient. So der Tenor.

Doch damit wird nicht nur lauthals um Wählerstimmen gebuhlt, sondern auch eine Grundhaltung in den Köpfen zementiert, die dort ohnehin bereits fest verankert ist: Die Hierarchie von Gewinnern und Verlieren. Siegen und Scheitern – zwei Kategorien, in die sich Menschen bequem und gerne aufteilen lassen. Siegen ist eine Kunst, aber Scheitern? Bis auf den heutigen Tag provoziert „Scheitern“ in Deutschland immer einen sehr dicken und zusätzlich Tausende kleine Zeigefinger, die alle den Odem der Schadensfreude und des Spotts verbreiten. Die gesellschaftliche Formel dafür ist einfach: Wer im Wettlauf mit den anderen stolpert und zu Boden stürzt, bleibt meist auch dort – und das zurecht.

Nach gängiger Meinung ist der Gescheiterte an seiner Misere selbst schuld. Dummheit, Schwäche und Inkompetenz sind gerne unterstellte Ursachen. So jedenfalls sieht es das öffentliche Bewusstsein, das aus lauter Angst vor dem eigenen Scheitern demjenigen kein Verständnis entgegenbringt, der in einer erfolgsorientierten Marktmaschinerie stolpert und auf der Strecke bleibt. Scheitern ist verpönt. Und wer vom Scheitern spricht, meint in aller Regel die anderen. Kein Wunder, dass die Angst vor Niederlagen in der deutschen Seele so tief verwurzelt ist.

Dabei hat das Scheitern viel mehr mit uns zu tun, als es uns die hyperaktive Leistungsgesellschaft glauben machen will. Denn die dramatischen Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt und der rasante gesellschaftlichen Wandel in einer globalisierten Welt wirbeln unsere Welt durcheinander und konfrontieren uns mit unverhofften Abstürzen, Wandlungen, Brüchen und Chancen. Scheitern wird also mehr und mehr zur Erfahrung des modernen Menschen. Und das anzunehmen, ist die eigentliche Herausforderung der Moderne.

Dabei geht es nicht darum, das Scheitern »salonfähig« zu machen. Es geht vielmehr darum, es zu verstehen, damit wir souveräner mit Tiefschlägen umgehen können. Kurz: Es geht ums Aufstehen und nicht ums Hinfallen. Verlieren zu können, ist ein große Stärke, doch will die Kunst, ein »guter« Verlierer zu sein, frühzeitig geübt und trainiert sein. Es geht also um eine für unsere Kultur noch junge Kunst: die Kunst des Scheiterns. Man kann die Kunst des Scheitern als gesellschaftlichen Aufbruch verstehen. Man kann sie aber auch schlicht als notwendige Neupositionierung deuten, wenn wir nicht noch tiefer im Sumpf von leeren Kassen und betrieblich bedingten Insolvenzen versinken wollen.

Wenn Deutschland aber dauerhaft als Gründerland etabliert und die Eigenverantwortung insgesamt gefördert werden soll, brauchen wir neben der Kultur der Selbstständigkeit auch eine Kultur des Neubeginns, die verhindert, dass aus Gestrauchelten endgültige Verlierer werden, die durch das soziale Netz fallen und die Volkswirtschaft damit zusätzlich belasten.

Und so wird die politische und wirtschaftliche Überlebensfähigkeit Deutschlands nicht zuletzt von seiner Fähigkeit abhängen, auf veränderte technische, soziale und kulturelle Herausforderungen angemessen zu reagieren. Denn in dem Maße, wie sich die allgemeine Risikobereitschaft aus Angst vor dem Scheitern reduziert, stagnieren im gleichen Zug  jegliche Vorwärts- und Fortschrittsbewegung. Scheitern und das Lernen daraus wird demnach begriffen als notwendiges Element allen Fortschreitens, aller gesellschaftlicher und ökonomischer Vorwärtsbewegung. Und so wird die politische und wirtschaftliche Überlebensfähigkeit Deutschlands nicht zuletzt von seiner Fähigkeit abhängen, auf veränderte technische, soziale und kulturelle Herausforderungen angemessen zu reagieren.

***

© Ute Bienkowski. Alle Rechte vorbehalten.
Zenit – Institut für Kreativität und Erfolgsmethodik

Weitere Beiträge zum Thema: Sorbas – eJournal für den Neubeginn.

Add to Technorati Favorites Diese Seite zu Favoriten.de hinzufügen Diese Seite zu Mister Wong hinzufügen BlogPingR.de - Blog Ping-Dienst, Blogmonitor

Schlagwörter: , , , , , , , , , , , ,

Hinterlasse einen Kommentar