Robert Enke: die geschlagene Nummer eins

»You Can Win If You Want« – so lautet nicht nur ein Erfolgssong des einstigen Popduos Modern Talking, sondern auch das Motto unserer modernen Leistungsgesellschaft. Dem Nationalkeeper Robert Enke wurde die daraus resultierende Einstellung jetzt zum Verhängnis. Die Geschichte dieses todtraurigen Nationaltorhüters, der sich im Kampf um den Ball zur Spitze durchschlug und sich eines unbedingten Erfolgswillens zum Trotz dennoch vor seiner Krankheit geschlagen geben musste, hat die Republik wie kaum eine andere gerührt.

Dass der Torheld das Geheimnis seiner tabuisierten Traurigkeit ebenso vehement wie sein Tor hütete und aus Angst vor dem Öffentlichwerden seiner Depressionen und Versagensängste schließlich den Freitod auf den Schienen wählte, wirft nicht nur einen Blick hinter die Fassade einer äußerlich strahlenden Siegerpose, sondern auch auf die Abgründe des Leistungssports und nicht zuletzt einer Leistungsgesellschaft insgesamt, die jede Form von Schwäche verpönt und schon einen zweiten Platz als Niederlage wertet. Umso größer ist der Respekt vor Enkes so tapferer Witwe Teresa, die uns mit ihrer schonungslosen Offenheit einen Einblick in die fußballerische Kraftmeierei und der Zerbrechlichkeit menschlichen Lebens dahinter erlaubt.

Wenn dieser Suizid die Menschen derart erschüttert hat, dann vielleicht auch deshalb, weil viele intuitiv spüren, dass Robert Enke einer von ihnen war. Denn die allseits eingeforderte Effizienzsteigerung hat eine Beschleunigungslogik in Gang gesetzt, die bei einer ständig wachsenden Zahl von Menschen Zustände von chronischer Erschöpfung und Niedergeschlagenheit auslöst und sie vielfach an die Grenzen ihrer Belastungsfähigkeit treibt. Gewiss, zum Erhalt unseres Wohlstands braucht die Wirtschaft Wachstum. Ist ein Ziel aber erst erreicht, muss es sofort überboten werden.

Die ständige Steigerung aller Optionen mitsamt der rasenden Umschlagsbewegungen von Gütern und Kapital verstärken das Gefühl, nicht mehr selbst zu leben, sondern gelebt zu werden. Im Auf und Ab unberechenbarer Finanzmärkte wie eine Kleiderpuppe hin- und hergeworfen, wird der Mensch vor diesem Hintergrund zum bloßen Leistungserbringer degradiert. Immer mehr Leistung. Immer mehr Druck. Immer mehr Stress. Tatsächlich wird der Traum vom stets perfekten, schönen, erfolgreichen, ganzheitlichen und immer prallen Leben für viele Menschen heute zum Alptraum.

Kein Wunder, dass die Angst umgeht, die Angst, im Kampf um Konkurrenzvorteile nicht mehr mitzuhalten und abgehängt zu werden. Wen wundert es, dass im Zuge dessen die psychischen Erkrankungen rasant zunehmen. Die sich hier zuspitzende Situation ruft die Experten auf den Plan – und Krankenkassen schlagen wegen des explodierenden Konsums an Psychopharmaka Alarm. Es gibt immer weniger verbindliche Werte in unserer Gesellschaft – mit einer Ausnahme. Dieser eine Wert wird für immer mehr Menschen zunehmend wichtig: Es ist die Motivation, erfolgreich zu sein, alles perfekt zu machen, möglichst weit nach oben zu kommen.

Wer in unserer erfolgs- und leistungsorientierten Marktmaschinerie dabei aber stolpert, ist selbst schuld. So jedenfalls sieht es das öffentliche Auge einer Ellbogengesellschaft, die den Erfolg im Sinne des Gewinnstrebens und der Leistungsmaximierung zum allgemeingültigen Maßstab erhebt und Niederlagen als Makel stigmatisiert. Fatal. Denn trotz aller Erfolgsrhetorik und Durchhalteparolen ist niemand vor Erfolgseinbußen gefeit, steht jeder Menschen irgendwann einmal auf der Verliererseite.

Und so ist der gesellschaftliche Umgang mit dem Scheitern ein zutiefst unmenschlicher und mutloser. Wir haben kaum so etwas wie eine Kultur des Umgangs mit Grenzen. Alles Mangelhafte wird als peinlich empfunden. Die Fähigkeit, mit Grenzen umzugehen, müsste Bestandteil unserer Bildung sein, denn die Unplanbarkeit gelingenden Lebens und die Begrenztheit der eigenen Lebenszeit ist ein Grundproblem des menschlichen Daseins. Hinzu kommt, dass eine Gesellschaft, die das Recht des Stärkeren wie wir salonfähig macht, auf Dauer nicht wird überleben können.

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© Ute Bienkowski. Alle Rechte vorbehalten.
Zenit – Institut für Kreativität und Erfolgsmethodik

Weitere Beiträge zum Thema: Sorbas – eJournal für den Neubeginn.

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