Ich hartze, du hartzst. Und wir hartzen?

Jetzt ist es amtlich: Wem weniger als 913 Euro netto pro Monat zur Verfügung stehen, gilt nach statistischen Berechnungen als arm. Wenngleich zum Kreis der Betroffenen allen voran Arbeitslose, Alleinerziehende und Singles gehören, schützt selbst ein ordentliches Beschäftigungsverhältnis inzwischen nicht mehr unbedingt vor Armut. Und so waren den Zahlen der Statistiker zufolge bereits 2007 sieben Prozent der Erwerbstätigen armutsgefährdet. Das Erschreckende daran, dass mittlerweile nicht einmal mehr Akademiker davor gefeit sind.

Die Hartz-IV-Gesetze haben den Arbeitsmarkt flexibilisiert und die Arbeitslosenzahlen unstreitig reduziert. Das ist die eine Seite. Die andere Seite ist, dass dieselben Arbeitsmarktreformen die Entstehung eines neuen Niedriglohnsektors, verstärkte Zeitarbeit sowie geringfügige und befristete Beschäftigungsverhältnisse erheblich begünstigt haben. Im Zuge dessen macht das Wort von der Arbeitsarmut die Runde. Nur, wie retten die am gesellschaftlichen Alles-ist-möglich-Anspruch Gescheiterten ihr Selbstwertgefühl über das Kränkende, trotz ihrer Hände Arbeit und mitunter fundierter Ausbildung beim Amt zum Bittsteller zu werden? Und wie wird die Demütigung verkraftet, aufgrund eines Billiglohns fernab der schönen Glaspalastwelt allenfalls noch als Konsument von »Ramschware« in Betracht zu kommen?

Vor diesem Hintergrund dürfen wir gespannt sein. Gespannt darauf, wie lange das stereotype Argument, schlecht bezahlte Arbeit sei besser als gar keine, zur Beschwichtigung derer ausreicht, die im Wettlauf um den günstigsten Standort als billiges »Humankapital« ins Rennen geschickt und dort vielfach verheizt werden. Dabei ist das eigentlich Skandalöse, dass die Wirtschaft Niedriglöhne heute mit staatlicher Legitimation als Druckmittel im Wettbewerb als Standortvorteil nutzen kann. Nicht allein, dass derartige Verhältnisse hinreichend Sprengstoff für krawallige Polemik bieten. Sie können eine Gesellschaft zerreißen, weil sie keine Basis sind, auf der ihr Zusammenhalt auf Dauer funktionieren kann.

In einer Zeit, in der sich die Schere zwischen Arm und Reich weiter öffnet und ein sozialer Abstieg längst nicht mehr nur die Aussicht für sogenannte Unterprivilegierte ist, brauchen wir schon im eigenen Interesse endlich eine gesellschaftliche Debatte jenseits plakativer Worthülsen und Sprechblasen darüber, wie zum Erhalt unseres viel beschworenen sozialen Friedens jedermann ein menschenwürdiges Dasein führen kann.

Unlängst wurde unter der Ägide des renommierten Langenscheidt-Verlags das Wort »hartzen« als Synonym für rumhängen, trödeln, arbeitslos sein zum Jugendwort 2009 gekürt. Nicht genug damit, dass damit Millionen von Menschen beleidigt werden, die unverschuldet in die Arbeitslosigkeit geraten oder trotz redlicher Arbeit auf staatliche Transferleistungen angewiesen sind. Auch um einer gesellschaftlichen Zweiteilung nachhaltig entgegenzutreten, dürfte dies wohl kaum ein angemessenes Signal sein. Denn vor dem Hintergrund einer weltweiten Wirtschafts- und Finanzkrise mit unabsehbaren Folgen kann »hartzen« heute jeden treffen.

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© Ute Bienkowski. Alle Rechte vorbehalten.
Zenit – Institut für Kreativität und Erfolgsmethodik

Weitere Beiträge zum Thema: Sorbas – eJournal für den Neubeginn.

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